Mit der Umsetzung der europäischen DSM-Richtlinie (2019) sollte der Weg in Richtung eines modernen und zukunftsweisenden Urheberrechts beschritten werden. Neben den Inhalten, die medienwirksame Debatten über Upload-Filter und freie Meinungskultur im Internet ausgelöst haben, enthält die Richtlinie auch einige Neuerungen, die die digitale Wissenschaft privilegieren sollen und es auch könnten. Die Auswirkungen hängen von der Umsetzung ins nationale Recht ab, die bis Juni 2021 abgeschlossen sein muss. Die Änderungen zugunsten der digitalen Forschung werden allerdings voraussichtlich eher klein und fein sein, statt bahnbrechend und innovationsfördernd.
Gerade mit der verpflichtenden Erlaubnis zugunsten wissenschaftlichem und nicht-kommerziellem (Artikel 3) sowie sonstigem Text und Data Mining (Artikel 4) an urheberrechtlichen Schutzgegenständen setzt die Richtlinie EU-weite Maßstäbe für ein digitale Forschung. Da das deutsche Urheberrecht aber bereits seit 2018 eine entsprechende Erlaubnis enthält, § 60d UrhG, ist das Reformpotential – jedenfalls im Wissenschaftskontext – naturgemäß begrenzt.
Zu thematisieren ist in jedem Fall, dass die Korpora, die für Text und Data Mining Forschungen erstellt wurden, nach der neuen Norm auch nach Abschluss der Forschungsarbeiten so lange aufbewahrt werden dürfen, wie es für wissenschaftliche Zwecke erforderlich ist (§ 60d Absatz 5 n. F.). Das sollte in jedem Fall die zehn Jahre abdecken, die die gute wissenschaftliche Praxis erfordert.
Aus Projektperspektive ist diese Änderung ein zweischneidiges Schwert: Zwar müssen die Korpora zukünftig nicht mehr gelöscht werden, wie es der (noch) aktuelle § 60d Abs. 3 UrhG vorsieht. Doch konnte bereits diese bald vormalige Löschungspflicht dadurch umgangen werden, dass die Korpora an bestimmte Einrichtungen, wie etwa wissenschaftliche Bibliotheken, zur Aufbewahrung weitergereicht werden durften. Diese Möglichkeit besteht in Zukunft jedenfalls nicht mehr ausdrücklich. Doch sind gerade diese Einrichtungen – die wissenschaftlichen Bibliotheken – die kompetenten Ansprechpartner, wenn es um die Aufbewahrung von Forschungsdaten geht. Im Rahmen des neuen § 60d Abs. 5 UrhG lässt sich eine Weitergabe etwa damit begründen, dass Forschende auch universitätsintern auf Servern der Repositorien arbeiten und es insofern praktisch keine strikte Trennung der Systeme gibt.
Leider ist zudem zu erwarten, dass es auch in diesem Gesetzgebungsverfahren versäumt wird, eine ausdrückliche Erlaubnis zugunsten der Weiterverwendung der aufwendig aufbereiteten Korpora zu integrieren, obwohl dies europarechtlich möglich gewesen wäre.
Positiv zu bewerten ist jedenfalls, dass Forschende in Zukunft in ihrer Position gegenüber digitalen Rechteverwaltungen gestärkt werden. Bisher war es in diesen Systemen so, dass technische Maßnahmen urheberrechtliche Erlaubnisse aushebeln konnten (§ 95b Abs. 3 UrhG): Im Rahmen vertraglicher Bereitstellung urheberrechtlicher Werke konnte auf rechtmäßige Weise verhindert werden, dass Erlaubnisse in dem gesetzlich eingeräumten Umfang genutzt werden konnten. Die bisherige Lage war insofern nicht zufriedenstellend, es mussten entweder bereits digital frei zugängliche und damit ausschließlich gemeinfreie Quellen verwendet oder aufwendige Digitalisierungsarbeiten auf sich genommen werden. Dies wird sich in Zukunft ändern: Plattformen müssen Forschenden entsprechende Mittel für den vollständigen Download in die Hand geben.
Resultierend daraus ist nicht zu erwarten, dass das ganze Potential der DSM-Richtlinie ausgeschöpft wird: Zwar werden einige Hürden genommen. Dennoch bestünden weitreichendere Möglichkeiten, die digitale Forschung zu stärken. Es muss darauf gehofft werden, dass es die Reform jedenfalls vermag, WissenschaftlerInnen zu ermutigen, sich an die Beforschung urheberrechtlich geschützter Quellen zu wagen. Das ist aufgrund bestehender Rechtsunsicherheiten bislang keine Praxis.